Antisemitismus-Beauftragter Klein: „Judensau“ ist keine interne Wittenberger Angelegenheit
Interview 11.05.2023
„Kein Weltkulturerbe-Status mit Schmährelief!“ – Felix Klein fordert im Interview mit der Mediengruppe Mitteldeutsche Zeitung die Überprüfung des UNESCO-Welterbe-Status der Stadtkirche in Wittenberg
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte vor wenigen Tagen, den Unesco-Weltkulturerbe-Status der Wittenberger Stadtkirche zu überdenken, weil die Gemeinde die als „Judensau“ bekannte mittelalterliche Schmähplastik an der Fassade belassen will. MZ-Reporter Julius Jasper Topp hat mit ihm über seinen Vorstoß und seine Meinung zur Haltung der Kirche gesprochen.
Herr Klein, warum haben Sie nach der Überprüfung des Welterbe-Status der Wittenberger Stadtkirche verlangt?
Felix Klein: Grundsätzlich zeigt die Art und Weise, wie der Kirchenvorstand in Wittenberg das Thema in den vergangenen Jahren behandelt hat, dass dort die internationale und außenpolitische Dimension nicht ausreichend gesehen wird. Angesichts der herausragenden Bedeutung als Kulturerbe handelt es sich nicht um eine interne Wittenberger Angelegenheit. Das zeigt sich gerade in der Tatsache, dass die Stadtkirche 1996 in die Weltkulturerbeliste aufgenommen wurde.
Die Entscheidung über den Umgang mit dem Schmährelief ist nicht nur ein kircheninternes Ereignis, sondern hat ganz klare politische Implikationen. Wenn Sie sich Artikel 1 der Unesco-Verfassung vor Augen führen, kommt darin klar zum Ausdruck, dass die Achtung vor Recht und Gerechtigkeit und vor den Menschenrechten gestärkt werden sollten – und Religionsfreiheit ist nun einmal ein Menschenrecht. Deshalb widerspricht eine Schmähplastik, wie sie in Wittenberg zu sehen ist, diesen Prinzipien fundamental.
Die Unesco hatte uns auf Anfrage erklärt, dass die so genannte Judensau nicht Teil der Anerkennung des Kulturerbe-Status sei.
Das müsste aus meiner Sicht noch weiter geprüft werden. Ist damals bei der Beantragung des Weltkulturerbe-Status in Wittenberg das Schmährelief erwähnt worden?
Womöglich nicht, um die Erlangung des Weltkulturerbe-Status nicht zu gefährden. Ich habe mich im politischen Archiv des Auswärtigen Amtes angemeldet, um die Berichterstattung von 1995/1996 noch einmal einzusehen.
Die Gemeinde steht auf dem Standpunkt, dass eine Einordnung ausreichen muss. Warum sehen Sie das anders?
Da kann ich mit einem Zitat des evangelischen Landesbischofs Kramer antworten: „Eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung, ob man sie nun kommentiert oder nicht.“ Auch eine kontextualisierte Beleidigung bleibt eine solche. Und was eine Beleidigung darstellt, ist im Übrigen etwas, was der Empfänger der Beleidigung entscheidet und nicht der Sender.
Genau das werfe ich auch der Stadtkirchengemeinde vor: Sie zeigt nicht die Empathie, die es eigentlich braucht, denn Jüdinnen und Juden empfinden die Darstellung in großer Mehrheit als Beleidigung. Ich stelle mir einen Touristen vor, der wegen des Unesco-Weltkulturerbe-Status’ aus Israel oder den USA nach Wittenberg kommt und dieses Relief dort akzeptieren muss, das ganz klar zum Ausdruck bringt: „Wir wollen dich hier nicht haben. Juden sind hier unerwünscht.“
Diese Empathie sollte eine Kirchengemeinde in ganz besonderer Weise zum Ausdruck bringen. Das wird durch die Kontextualisierung – also die Stele, auch wenn sie noch etwas verändert wird – nicht gewährleistet.