Felix Klein: "Ich möchte die Gräben und Missverständnisse überwinden, die in diesem Jahr entstanden sind"
Interview 30.12.2020
Felix Klein hat im Interview mit Gregor Mayntz von der Rheinischen Post einen Ausblick auf das kommende Jahr und die Herausforderungen gegeben, die er für den Kampf gegen Antisemitismus in 2021 sieht. Zugleich blickt er zurück auf das Jahr 2020 und dabei auf Themen wie die Eindämmung der Boykott-Bewegung gegen Israel oder antisemitische Verschwörungsmythen.Das Interview wurde am 30. Dezember in der Rheinischen Post veröffentlicht.
Rheinische Post
Welche Herausforderungen sehen Sie 2021 für den Kampf gegen Antisemitismus?
Zunächst einmal geht es darum, das Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet nach dem Rücklauf aus dem Bundespräsidialamt möglichst rasch in veränderter Form auf den Weg zu bringen. Davon erhoffe ich mir entscheidende Erfolge, weil es dann leichter ist, die Identität jener herauszufinden, die Antisemitismus verbreiten. Wir wissen aus Pilotprojekten, dass das Milieu, das so etwas verbreitet, zurückweicht, wenn Gegendruck kommt, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft reagieren.
Haben die Behörden genügend Personal, um das Gesetz auch wirksam umzusetzen?
BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz sollen neue Referate bekommen, um das besser überwachen zu können. Mit beiden bin ich in Kontakt. Natürlich braucht die Polizei auch in den Ländern mehr Personal. Und dann haben leider noch nicht alle Länder auch Schwerpunktstaatsanwaltschaften für diese Zwecke eingerichtet. Meine Kollegen in den Ländern und ich appellieren an die Justizminister, bei jedem Generalstaatsanwalt eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den Kampf gegen Antisemitismus zu schaffen.
Sind weitere Gesetzesnovellen nötig?
Ich sehe da vor allem das Richtergesetz. Wir müssen es schaffen, dass angehende Richter und Staatsanwälte schon in der Ausbildung für die Erscheinungsformen des Antisemitismus und das Versagen der Justiz im Nationalsozialismus sensibilisiert werden. Wer Plakate wie „Israel ist unser Unglück“ mit klaren Bezügen zur ähnlich klingenden NS-Propaganda als freie Meinungsäußerung bewertet, macht deutlich, dass Justizunrecht stärker und systematischer in den Blick genommen werden muss.
Die Eindämmung der Boykott-Bewegung gegen Israel (BDS) hat allerdings auch zu einer Gegenreaktion unter Wissenschaftler, Künstlern und Autoren geführt. Wie gehen Sie mit deren „Initiative Weltoffenheit“ um?
Ich entnehme dem das Bedürfnis von Kulturschaffenden, eine größere Klarheit darüber zu bekommen, wo die Grenzen zwischen notwendiger Wissenschafts- und Kunstfreiheit und israelbezogenem Antisemitismus liegen. Das ist ein legitimes Anliegen. Wir haben jetzt ein Gutachten zum BDS-Beschluss des Bundestages und müssen auf dessen Grundlage die konkreten Folgen durchbuchstabieren. Ich möchte gerne die Gräben und Missverständnisse überwinden, die in diesem Jahr entstanden sind. Wir wollen doch alle keinen Rassismus und keinen Antisemitismus. Und es geht auch nicht darum, Kritik an Israel zu unterdrücken. Kritik an Israel passiert doch jeden Tag, ohne dass Antisemitismusvorwürfe geäußert werden.
Der Boykott-Bewegung werden Bezüge zum muslimischen Antisemitismus vorgeworfen. Dieser taucht über Zugewanderte vermehrt auch an deutschen Schulen auf. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Es ist alarmierend, dass der Ausruf „Du Jude“ als Schimpfwort weite Verbreitung auf deutschen Schulhöfen gefunden hat – auch und gerade in muslimischen Milieus. Wir sollten Lehrerinnen und Lehrern dabei helfen, souveräner damit umzugehen und die richtigen Schritte zu gehen. Dazu gehört auch das Gespräch mit den Familien und dem religiösen Umfeld. Denn niemand wird als Antisemit geboren. Moscheegemeinden sind aufgerufen, gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen vorzugehen. Es gibt da und im interreligiösen Dialog schon sehr gute Ansätze.
Gleichwohl werden antisemitische Straftaten zum allergrößten Teil von Rechtsextremisten verübt. Droht hier ein weiterer Anstieg?
Ich befürchte, dass die Statistik wieder sehr hohe Zahlen aufweisen wird. Ich sehe das zweigeteilt. Auf der einen Seite sind die Hemmschwellen gesunken, etwa gegenüber der Volksverhetzung oder bei Beleidigunsdelikten, auf der anderen Seite gehen Betroffene stärker als bisher zur Polizei und zeigen die Straftaten an.
Was macht es mit Ihnen, wenn bei „Querdenken“-Demos Judensterne mit „ungeimpft“-Aufdruck getragen und NS-Opfer wie Anne Frank instrumentalisiert werden?
Das bedrückt mich sehr. Denn das ist eine Verhöhnung der Opfer. Der Holocaust taugt nicht für jedwede Opfer-Gefühle. Hier wird eine weitere rote Linie überschritten. Das muss gestoppt werden. In München gab es die Auflage, dass bei einer derartigen Demo keine Judensterne gezeigt werden dürfen, so konnte die Polizei dagegen vorgehen. Daran sollten sich andere Versammlungsbehörden ein Beispiel nehmen. Neben die repressiven Mittel gehört aber auch die Aufklärung. Wer über Sophie Scholl oder Anne Frank Bescheid weiß, wird einen solchen Vergleich nicht wagen.
Im Zusammenhang mit Corona und Impfen tauchen wieder Mythen von angeblichen jüdischen Verschwörungen auf. Wie gehen Sie dagegen vor?
Interessant ist, dass sich solche Verschwörungsmythen am Anfang der Pandemie eher gegen Menschen aus dem asiatischen Raum richteten. Jetzt wird das alte Verhaltensmuster herausgeholt. In Zeiten der Krise sind Menschen anfälliger für irrationale Erklärungsmuster. Der Antisemitismus wird über Jahrhunderte in solchen Zusammenhängen gepflegt. Hier ist Gegendruck enorm wichtig: Durch Strafanzeigen und durch verstärkte Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Gruppen, die zuvor nie etwas miteinander zu tun hatten, haben in der Pandemie über den Antisemitismus zusammengefunden. Hier droht eine weitere Radikalisierung. Das ist ein Fall für den Verfassungsschutz.
Gibt es auch etwas, auf das Sie sich im neuen Jahr freuen?
Ja! Wir feiern 2021 ein schönes Jubiläum: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Das ist Anlass für einen Staatsakt, für Ausstellungen, Konzerte und für viele weitere Begegnungen – soweit es Corona zulässt. Jedenfalls werden wir viele Gelegenheit haben, uns darüber klar zu werden, wie sehr jüdisches Leben integraler Bestandteil unserer Kultur ist. Jüdisches Leben als Normalität wahrzunehmen – das ist eine wunderbare Art, gegen Antisemitismus vorzugehen.